In Walle leben heute auf einer Gesamtfläche von 833,8 ha rund 27.500 Menschen – mit wachsender Tendenz. In den letzten Jahren ist Walle ein attraktiver Wohnort für junge Familien geworden, die zum Teil unter sehr günstigen Bedingungen in Walle’s Ortsteilen Utbremen, Steffensweg, Westend, Walle, Osterfeuerberg und Hohweg eine neue Heimat finden. Und nicht zu vergessen: Im heutigen zu Walle gehörenden Ortsteil Überseestadt, den früheren Handelshäfen, der weitere 390 ha Gesamtfläche umfasst, tut sich enorm viel: Neben dem herkömmlichen Gewerbe prägen Musik, Theater, Kleinkunst und studentisches Leben dieses Gebiet und beleben die angrenzenden "alten Ortsteile" des Stadtteils Walle entsprechend.
Auch Walle hat eine lange Geschichte und war in seinen Anfängen sehr dörflich geprägt, hat seinen ersten Entwicklungsschub mit dem Ausbau der Eisenbahnstrecke Bremen-Burg sowie dem Chausseebau erhalten und mit dem Anschluss an das deutsche Zollgebiet sowie dem Bau der Freihäfen und des Holzhafens eine dynamische Entwicklung zur zunehmenden Industrialisierung eingeleitet. Der weitgehenden Zerstörung im August 1944 folgte die Aufbauphase der Nachkriegszeit, die ihren Ausgangspunkt in einem städtebaulichen Ideenwettbewerb hatte.
Der Anfang Walles führt uns zunächst in graue Vorzeiten - im Jahre 1139 wird Walle das erste Mal urkundlich erwähnt und 1179 wird erstmals vom Hof Walle gesprochen. Um 1200 taucht mit Ritter Engelbert von Walle die erste geschichtliche Persönlichkeit in den Annalen auf. Zu diesem Zeitpunkt verlegt Erzbischof Adalbero das Kapitel der Propstei Wilhadi aus der Nachbarschaft des Domes auf den Steffensberg und vereinigt sie mit der hier bereits existierenden Propstei St. Stephani. Daraus entsteht das Stephani-Wilhadi-Kapitel. Diese Kirche wird dann im späten Mittelalter "Steffenskirche" genannt. Die Stephani-Kirche war schließlich berechtigt, als "Filiale" die Wilhadi-Kirche errichten zu lassen. Deren Grundstein wurde 1876 gelegt - die Weihe der Kirche erfolgte 1878. Im 15. Jahrhundert wird der Waller Ortsteil Utbremen schon als zu Bremen gehörig betrachtet. Das Ritter- und Patriziergeschlecht derer von Walle stirbt in dieser Zeit jedoch aus.
Im 16. Jahrhundert errichtet Bremen auf dem Gelände zwischen der heutigen Schleswiger und Theodorstraße eine Richtstätte, den sogenannten Galgenberg. Diese fragwürdige Einrichtung erweist sich als außerordentlich dauerhaft - erst 1811 wird der letzte Galgen entfernt. 1635 pachtet der Ritter Christoph Ludwig Raschen, der innerhalb des noch andauernden Dreißigjährigen Krieges als Diplomat auf protestantischer Seite tätig war, den Hof Walle als Alterssitz und macht daraus das Gut Walle. Der heutige Turm der Waller Kirche, von Ritter Raschen gestiftet, wird über seinem Grab errichtet. 1833 wird das Gut Walle wiederum aktenkundig - nach häufigem Besitzerwechsel gelangt es durch Vererbung in das Eigentum der Familie Achelis. Sie erweitert diesen Grundbesitz durch Ankauf des Humannschen Hofes und gestaltet die Gartenanlagen zu einem prächtigen Park. Das hierzu gehörige Herrenhaus wird 1881 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.
1820 verdichten sich die Planungen zum Bau einer Chaussee zwischen Bremen und Burg. Im August 1821 wurde der Abschnitt bis Gröpelingen freigegeben. Der Vorläufer der späteren Bundesstraße 6 nennt sich ab 1916 Heerstraße. 1857 wird als erste Wasserumschlagstelle mit Bahnanschluss der Weserbahnhof am Stephanitorsbollwerk errichtet. 1862 eröffnet die königlich-hannoversche Eisenbahn ihren Betrieb zwischen Centralbahnhof und Geestemünde. Diese sogenannte "Geestbahn" wird zunächst ebenerdig geführt. In der Zeit von 1905-1916 wurde für die "Geestbahn" nördlich des ursprünglichen Verlaufs ein Bahndamm aufgeschüttet. Walle erhält damit einen eigenen Haltepunkt für Personen und Gepäck. 1879 gibt es eine verkehrstechnische Neuheit zu bewundern: die Pferdebahn als Vorläuferin der Straßenbahn verkehrt bis 1909 in Walle. Im Jahr 1899 ist die erste "Elektrische" in Walle im Einsatz. Die daraus entstandene Straßenbahn-Linie 3 verkehrt zwischen Sebaldsbrück und der Bogenstraße. 1936 bildet die neue Blocklandautobahn eine weitere Verkehrstangente im Bremer Westen.
Und schon bald, nämlich 1885, werden Teile Walles eingemeindet; die verbleibenden Flächen folgen nach entsprechenden Beschlüssen 1892 und 1901/02.
Hatte sich Walles Entwicklung bis dahin schon in immer rascheren Schrittfolgen vollzogen, erfolgte mit dem Anschluss Bremens an das Zollgebiet des Deutschen Reiches im Jahre 1888 der Beginn eines neuen Zeitabschnittes. Im gleichen Jahr wird der Freihafen I (nach 1945: Europahafen) eröffnet. Die Hafenanlagen werden erweitert: 1906 wird der Freihafen II gebaut (nach dem 2. Weltkrieg umgenannt in Überseehafen). Die Jute-Spinn und - Weberei wird gegründet und befindet sich neben dem 1887 im Hafenbereich liegenden Wohnviertel "Waller Wied" (Heimatstraßenviertel), welches heute als einzige Ausnahme der nach dem 2. Weltkrieg vorgenommenen strengen Trennung von Wohnen und Hafen existiert. 1889 folgen die Ölfabriken Bremen-Besigheimer und Groß-Gerau. 1891 wird der Holz- und Fabrikenhafen im Zollinlandsbereich angelegt. 1905 wird der 61m hohe Wasserturm in der Nähe des Steffensweges errichtet und nicht nur wegen seines charakteristischen Aussehens schnell zum Wahrzeichen des Stadtteils. Er wird ebenso wie viele andere markante Bauten Walles in der Nacht zum 19.08.1944 bei dem schwersten und folgenreichsten Luftangriff auf Bremen im 2.Weltkrieg weitgehend zerstört. Der Sockel dieses imposanten Gebäudes ist erhalten geblieben. 1907 nimmt die von Bremer Wirten gegründete Union-Brauerei im Osterfeuerbergviertel ihre Tätigkeit auf. Nach einer Teilzerstörung im 2. Weltkrieg erfolgte bereits 1945 erneut die Betriebsaufnahme. Heute dienen die erhaltenen, denkmalwürdigen Gebäude einer Spedition.
1891 wird der TuS Walle, heute mit über 2.000 Mitgliedern größter Sportverein des Stadtteils, gegründet. Mit ihm fusionieren später andere Arbeiterturnvereine. 1894 entsteht eine weitere Einrichtung, die ebenfalls noch heute zu den wichtigsten Trägern des öffentlichen Gemeinwesens zählt: der Bürgerverein Westliche Vorstadt. 1899 wird das Gemeindehaus Immanuel als "Filiale" der Stephani-Kirche gebaut. 1914 wird die örtliche Schullandschaft bereichert: es kommt zur Einweihung der Schule am Waller Ring als Realschule. Sie wird 1938 unter den Nationalsozialisten in "Horst-Wessel-Schule" umbenannt, erhält 1945 die Bezeichnung "Oberschule für Jungen im Westen" und heißt ab 1951 Oberschule Am Waller Ring. Bereits ein Jahr zuvor wird hier der sogenannte "koedukative Unterricht" eingeführt - Jungen und Mädchen werden gemeinsam unterrichtet. 1979 erfolgt die Umwandlung in ein Sekundar-I-Zentrum.
1919 machen sich der Bürgerverein und die Waller Kirchengemeinde zum Fürsprecher einer Idee, die erst 9 Jahre später Realität werden sollte - die Umwandlung des Achelischen Landgutes, also Walles Ursprung, in einen allgemein zugänglichen Volkspark. Die Einweihung des von Paul Freye gestalteten Waller Parks erfolgt 1928.
Das Dritte Reich wirft im Mai 1933 seine ersten schauerlichen Schatten mit einer Bücherverbrennung auf dem Spielplatz an der Nordstraße. Am 29.08.1938 werden alle Bürgervereine Bremens aufgelöst - der bis dahin so erfolgreiche Bürgerverein Westliche Vorstadt muss seine Tätigkeit einstellen.
In der Nacht vom 18. zum 19.08.1944 erlebt Walle seine dunkelste Stunde. Der schwerste Luftangriff, den Bremen im Zweiten Weltkrieg erleidet, richtet sich gegen die Hafenanlagen der Hansestadt. Die Westliche Vorstadt geht in einem grauenvollen Feuersturm unter, 1.054 Menschen verlieren ihr Leben, 25.000 Wohnungen werden zerstört, fast 50.000 Menschen obdachlos. Der Freihafen 1 existiert nicht mehr.
Nach Beendigung des 2. Weltkrieges scheint die Trümmerlandschaft der Westlichen Vorstadt keine Zukunft zu besitzen. Doch sie entfaltet erneut die Kraft, mit der sie sich schon im ausgehenden 19. Jahrhundert zu einem aufstrebenden Ort von Arbeiten und Wohnen entwickelt hat.
1950 wird vom Senat ein städtebaulicher Wettbewerb ausgeschrieben, in dem der zerstörte Teil Walles und seine Neuerrichtung das zentrale Thema sind. Auf der Grundlage des Wettbewerbsergebnisses werden Bebauungspläne erarbeitet, die im Folgejahr im Senat beschlossen werden. Unter anderem wird der vor dem Kriege dichtbesiedelte Bereich "Muggenburg" zwischen Nordstraße, Hansestraße und Weser – die alte Fortsetzung des Stephaniviertels - nicht wieder für Wohnzwecke vorgesehen, sondern für hafenorientierte Industrie- und Gewebeansiedlungen reserviert.
Damit werden der Hafen- und der Wohnbereich des Stadtteils deutlich voneinander getrennt. Lediglich das Heimatstraßenviertel im Waller Wied bildet hier bis heute eine Ausnahme. Auch die stadtplanerische Weichenstellung zur Schaffung öffentlichen Grüns erfolgt in dieser Zeit. Nachdem bereits 1949 der Waller Park wieder hergerichtet und 1950/51 um ein Kindertagesheim ergänzt wird, kommt es 1953 zum Baubeginn des Utbremer Grüns. Aus dem gleichen Jahr datiert der Startschuss für den Grünzug zwischen dem ebenfalls 1953/54 hergestellten Jugendfreizeitheim, der sich in den Folgejahren bis Oslebshausen weiterentwickelt und dort 1986 die Ritterhuder Heerstraße erreicht.
Die Entwicklung der Häfen verläuft ebenfalls mit vorwärts gerichtetem Blick. Der Inbetriebnahme der ersten neuerrichteten Schuppen am Überseehafen folgt schon 1951 die Wiederherstellung des Weserbahnhofes. Im Jahr zuvor konnte die nur teilbeschädigte Getreideanlage ihren Betrieb wiederaufnehmen.
Dem Wohlstand und Wirtschaftswunder - beginnend in den fünfziger Jahren – folgt in den beiden letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ein tiefgreifender Strukturwandel im Bereich der Hafenwirtschaft.
Als historische Aufgabe erwächst daraus eine sehr grundsätzliche stadtplanerische Überarbeitung der alten Handelshäfen, die unter der neuen Bezeichnung "Überseestadt" auf einer Fläche von 350 ha in großen Teilen neu definiert werden.
Der Ortsteil Überseestadt gehörte unter seinem früheren Namen "Handelshäfen" schon immer zum Stadtteil Walle und war im Bewusstsein der hier lebenden Menschen fest verankert. Und dennoch war er nicht vergleichbar mit den übrigen Ortsteilen – die Handelshäfen waren ausschließlich ein Ort der Arbeit.. Hier befand sich ein Teil des prosperierenden Bremer Hafens, hier wurden Schiffe be- und entladen, Güter gelagert und weitertransportiert, kurz : hier wurde Geld verdient. Wohnen oder Freizeit fand in diesem riesigen Gebiet jenseits der Hafenrandstraße, abgeschirmt durch Erdwall und Zollzaun, nicht statt.
Schon mit dem Bau des Freihafens I – dem heutigen Europahafen – entstand 1888 ein Gebiet, dass außer für Stauer und Seeleute eine Tabuzone darstellte. Die Hafenwirtschaft und die damit einhergehende städtebauliche Struktur entwickelten sich über die vergangenen einhundert Jahre kontinuierlich und äußerst erfolgreich. Mit dem in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts aufkommenden Containerverkehr reduzierten sich die Stückgutumschläge derart dramatisch, dass ein wirtschaftlicher Betrieb nicht mehr möglich war. Parallel dazu verloren die zumeist über fünfzig Jahre alten Kajen- und Spundwände altersbedingt ihre Standfestigkeit. Diese Entwicklungen waren schließlich Anlass, den Betrieb im Überseehafen einzustellen und ihn 1998 zu verfüllen – eine Maßnahme, die für alteingesessene WallerInnen sehr gewöhnungsbedürftig war. Nur allmählich begriff man im Stadtteil, dass zumindest ein Teil der traditionellen Hafengebiete vor einer grundlegenden Neudefinition ihrer Strukturen stand.
Die basisschaffende Richtung für das neue Gesicht des Ortsteils, jetzt Überseestadt genannt, wurde in einem sogenannten Masterplan entwickelt, in der die neuen Strukturen beschrieben und als städtebauliche Aufgabe dokumentiert werden, deren Vollzugsdauer über mehrere Jahrzehnte veranschlagt wird. Dabei gilt als Grundsatz : das noch vorhandene Gewerbe, insbesondere im Bereich des Holz- und Fabrikenhafens, aber auch im Umfeld des Weserbahnhofs, bleibt uneingeschränkt erhalten, genießt Bestandsschutz und soll die Möglichkeit zur Expansion haben. Im übrigen soll in jeweils verträglich abgestufter Form neues Gewerbe und vor allem Dienstleistung angesiedelt werden und darüber hinaus wird – wenn auch immer noch umstritten – an geeigneter Stelle Wohnen möglich sein.
Längst sind erste deutliche Akzente gesetzt worden : Auf dem ehemaligen Überseehafen ist der Großmarkt angesiedelt worden. Im direkt benachbarten Speicher XI – von der Hübotter GmbH völlig saniert und restauriert – haben große Teile der Hochschule für Künste, aber auch das Hafenmuseum und Gastronomie ihren Platz gefunden. Ebenfalls in direkter Nähe hat sich die sogenannte "Staplerhalle" als neues Veranstaltungszentrum etabliert, und im alten Feuerwehr- und Zollgebäude ist neues Leben festzustellen, dass – vor Kopf des Holzhafens - mit einem sehr nachgefragten Gastronomieangebot aufwartet. Das neugeschaffene Überseetor wird begleitet von einer großzügig gestalteten Zuwegung in Höhe des alten Waller Stiegs – hierüber erschließen sich bis zum Europahafen Flächen, die in der Vergangenheit ausschließlich der Hafenwirtschaft vorbehalten war. Ein umfassendes neues Straßen- und Radwegenetz sorgt für die Erschließung der fast 300 ha großen Überseestadt, in die nun auch die Straßenbahnlinie 3 – von der Innenstadt kommend – hineinstößt. Bemerkenswerte Akzente setzt das Unternehmen Justus Grosse am Europahafen – die Restaurierung und neue Nutzung des Speichers I sowie die davor angeordneten Bürolofts sorgen für neue Impulse, die Sog-Effekte für zukunftsweisende Entwicklungen in sich tragen. Das weitere Geschehen in der Überseestadt darf mit Spannung erwartet werden – die Ortspolitik wird die weiteren Planungs- und Entscheidungsprozesse auf Augenhöhe begleiten. [COUNTER VERSTECKT]